Klaffende Lücken in Supermarktregalen – was lange der Vergangenheit anzugehören schien, ist spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie wieder häufiger geworden.
Leere Regalflächen sind jedoch nur zum Teil eine Folge der Pandemie oder von Hamsterkäufen. Sie sind auch dem akuten Lkw-Fahrermangel im Transportgewerbe geschuldet. Ein Problem, das schon länger besteht und für das es dringend Lösungen braucht.
Was sagen die Zahlen zum Lkw-Fahrermangel?
Ende 2020 gab es in Deutschland gut 562.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Berufskraftfahrer im Güterverkehr. Bereits Anfang 2020 verwies der Wissenschaftliche Beirat beim damaligen Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in einem Gutachten auf einen drohenden Lkw-Fahrermangel in der Logistikbranche.
Binnen weniger Jahre hat sich die Situation umgekehrt. Folgt man einem Beitrag des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln e.V. (IW) , kamen Anfang 2010 auf 10.000 offene Fahrerstellen 50.000 arbeitslose Berufskraftfahrer. Damals konnte sich jede Spedition die Bewerber aussuchen.
Inzwischen macht sich in der Logistikbranche ein starker Fahrermangel bemerkbar. Der Deutsche Speditions- und Logistikverband e.V. (DSLV) sieht laut BMVI-Gutachten einen ungedeckten Bedarf von rund 45.000 Berufskraftfahrern. Circa 78 Prozent der deutschen Logistik-Dienstleister seien von einem Fachkräftemangel betroffen. Einer Prognose der Internationalen Straßenunion (IRU) zufolge fehlen bis zum Jahr 2027 circa 185.000 Lkw-Fahrer in Deutschland.
Vielfältige Gründe für den Fahrermangel in Deutschland
Die Gründe für den Lkw-Fahrermangel in Deutschland sind vielschichtig und liegen tiefer, als die kurzzeitigen Ausfälle im Zuge des Corona-Geschehens vermuten lassen.
Fakt ist: Es handelt sich nicht um einen vorübergehenden Engpass, sondern um einen strukturellen Mangel.
1. Demografischer Wandel
Wie in vielen Branchen macht sich auch in der Transport- und Logistikbranche der demografische Wandel zunehmend bemerkbar. Fast ein Drittel der Berufskraftfahrer in Deutschland ist inzwischen 55 Jahre alt oder älter. 2012 war es erst knapp ein Viertel.
Der Anteil jüngerer Fahrer hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die geburtenschwachen Jahrgänge die Ausbildungszahlen sinken lassen.
Viele ältere Fahrer werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Ein ausreichender Ersatz dafür ist „mangels Masse“ nicht in Sicht. Konsequenz: Es wird für die Unternehmen immer schwerer werden, Lkw-Fahrer zu finden.
2. Wegfall der Wehrpflicht
Die Aussetzung beziehungsweise das faktische Aus der Wehrpflicht 2011 hat das demografische Problem noch verschärft. Die Bundeswehr ist seit jeher ein wichtiger Player in der Fahrerausbildung gewesen. Mit der Verkleinerung der Streitkräfte im Zuge des Wehrpflicht-Endes ist der Ausbildungsumfang spürbar zurückgegangen.
2010 (im letzten Jahr vor Aussetzung der Wehrpflicht) hatte die Bundeswehr noch 17.800 Fahrer ausgebildet. 2018 waren es gerade einmal rund 11.000 – ein Rückgang um fast 40 Prozent.
3. Negatives Image
„King of the Road“ – dieser Country-Hit aus den 1960er-Jahren prägte lange das Bild des Berufskraftfahrers. Dem Job hing ein Hauch von Abenteuer, Freiheit und Ungebundenheit an. Dieses Image hat sich im Laufe der Zeit zum Schlechteren verändert und mit dazu beigetragen, dass der Beruf unattraktiver geworden ist.
Bei einer Umfrage stimmten 72 Prozent der Teilnehmer der Aussage zu, dass das Fahrer-Bild in der Öffentlichkeit negativ ist.
4. Schlechte Arbeitsbedingungen
Aber nicht nur das (Negativ-)Image bedeutet eine Belastung für die Branche. Schlechte Arbeitsbedingungen sind für Berufskraftfahrer leider Realität. Lange Abwesenheiten von zu Hause, Trennung von der Familie und soziale Isolation bilden seit jeher ein Problem.
Die lange vernachlässigte Verkehrsinfrastruktur stellt ein zusätzliches Handicap dar. Immer mehr Staus, Baustellen, dichter Verkehr auf der Straße und Parkplatzmangel machen den Fahrern das Leben schwer. Der ohnehin oft große Zeitdruck durch enge Zeitfenster bei der Be- und Entladung oder durch anspruchsvolle Zeitvorgaben wird dadurch noch verstärkt.
Gleichzeitig sehen sich Fahrer dank moderner Technik einer immer ausgefeilteren Kontrolle und Überwachung ausgesetzt. Nicht wenige Fahrer fühlen sich bei ihrer Arbeit „gläsern“ und als „letztes Glied in der Kette“. Und längst nicht immer erfahren sie den verdienten Respekt.
5. Fehlende Perspektiven
Berufskraftfahrer werden und dann? Für viele bleibt es beim Fahren – ein (Berufs-)Leben lang. Wer im Beruf den Aufstieg sucht, dem hat der Fahrer-Job oft wenig zu bieten. Das Angebot an Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten ist begrenzt.
Was lässt sich gegen den Lkw-Fahrermangel tun?
Maßnahmen gegen den Lkw-Fahrermangel in Deutschland müssen bei den Ursachen ansetzen. Kurzatmigkeit hilft dabei nicht weiter. Es geht darum, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, um wieder mehr Lkw-Fahrer zu finden und eine „Mangel-Wirtschaft“ zu verhindern. Folgende Ansätze sind denkbar:
1. Den Berufseinstieg erleichtern
Der Zugang zum Kraftfahrerberuf sollte erleichtert werden, ohne dass dadurch die Verkehrssicherheit oder die Qualität der Ausbildung leidet. Es geht zum Beispiel darum, den Quereinstieg durch entsprechende Umschulung zu fördern oder um eine schnellere Anerkennung ausländischer Lkw-Führerscheine. Hier bestehen oft noch bürokratische Hürden.
Ein anderer Vorschlag zielt dahin, den Lkw-Führerschein mit 17 Jahren als Teil der Fahrerausbildung möglich zu machen sowie die Ausbildung zu verschlanken und zu straffen. Gerade in diesem Bereich darf das aber nicht zulasten der Qualitäts- und Sicherheitsstandards gehen.
2. Den Beruf attraktiver machen
Angemessene Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Entlohnung, Möglichkeiten für Weiterbildung und Weiterentwicklung – das sind entscheidende Stellschrauben, um den Fahrerberuf attraktiver zu machen.
Im Logistik- und Transportgewerbe ist es durchaus möglich, mit innovativen Arbeitszeitmodellen jenseits der gesetzlich geregelten Lenk- und Ruhezeiten mehr Ausgleichsmöglichkeiten zu schaffen. Intelligente Planungssysteme können Unternehmen dabei helfen, den Fahrereinsatz auch in dieser Hinsicht besser zu organisieren und zu steuern.
Die Entlohnung stellt ein schwieriges Thema dar: Eine bessere Vergütung ist immer ein positiver Anreiz, allerdings setzen Wettbewerb und Kostendruck Grenzen. Außerdem muss eine Spedition bei der Entlohnung den tarifvertraglichen Rahmen beachten.
Eine bessere Weiterbildung bedeutet zum einen, entsprechende Angebote zu schaffen, und zum anderen auch Chancen zu bieten, um sie zu nutzen. Angesichts der Digitalisierung und Automatisierung wird sich der Fahrerberuf in den nächsten Jahren stark verändern. Entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen bieten Lkw-Fahrern Perspektiven für einen zukunftssicheren Job mit interessanten neuen Aufgaben.
3. Arbeitsbedingungen verbessern
Bessere Arbeitsbedingungen lassen sich mit einer Vielzahl an Maßnahmen herstellen. Sie sollen die Arbeit leichter machen, wenn der Fahrer auf der Straße unterwegs ist. Hier einige Beispiele:
- konsequenter Einsatz von Fahrassistenzsystemen in Fahrzeugen
- Nutzung digitaler Instrumente für Slot- und Tourenplanung
- Internet-Verfügbarkeit auch im Lkw
- Verbesserung der Ausstattung von Raststätten und Parkplätzen mit fahrerbezogenen Service-Angeboten
- besseres Baustellenmanagement
- Schaffung einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur (Verfügbarkeit zu jeder Zeit an jedem Ort)
4. Positives Image schaffen
Imageförderung ist vor allem eine Aufgabe für Politik und Verbände, aber auch für jeden einzelnen Spediteur. Notwendig ist ein aktives Marketing mit zielgruppengerechter Ansprache. Das denkbare Instrumentarium umfasst ein breites Spektrum von der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit bis zur gezielten Bewerbung des Berufs in Schulen.
Marketing-Maßnahmen müssen nicht nur ansprechend, sondern auch authentisch sein. Sie dürfen kein falsches Bild vermitteln. Insofern ist hier Fingerspitzengefühl gefragt.
Am wirksamsten ist erfahrungsgemäß das Empfehlungsmarketing, wenn also Fahrer von ihrem Beruf oder ihrem Unternehmen überzeugt sind und dies auch nach außen vermitteln.
5. Mehr Frauen in den Beruf
Lkw-Fahrer ist nach wie vor ein ausgesprochener Männerberuf. Der Fahrerinnen-Anteil liegt bei weniger als 5 Prozent. Ein maßgeblicher Grund dafür ist sicher die „Familienferne“ der Fahrer-Tätigkeit. Darüber hinaus tragen das „männliche“ Image und die Arbeitsbedingungen dazu bei, dass sich bis dato wenig Frauen für den Beruf entscheiden. Zu guter Letzt gibt es auch bei der Bezahlung immer noch Unterschiede bei den Geschlechtern.
Wenn der Beruf für Frauen attraktiver würde, ließe sich ein bisher weitgehend ungenutztes Arbeitskräfte-Potenzial erschließen. Mögliche imagefördernde Maßnahmen und Ansätze zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurden bereits genannt.
Lkw-Fahren ohne Fahrer: Perspektive für die Zukunft?
Es existiert auch noch ein weiterer denkbarer Ansatz gegen den Fahrermangel in Deutschland: das autonome Fahren im Güterverkehr. Wo kein Fahrer benötigt wird, kann keine Mangel-Situation entstehen – so die einfache Überlegung beim Logistiker oder Spediteur. Lenk- und Ruhezeiten spielen dann auch keine Rolle mehr.
Die DLR Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Uni Hamburg haben im Projekt „ATLas“ (Automatisiertes und vernetztes Fahren in der Logistik) diesen Ansatz näher untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass fahrerloses Fahren im Güterverkehr deutliche Kosten- und Zeitvorteile mit sich bringen könnte und von Logistik-Dienstleistern begrüßt würde.
An Lösungen für autonomes Lkw-Fahren wird bereits gearbeitet. Der „Robo-Truck“ ist keine Utopie, sondern technisch durchaus machbar. In Schweden ist ein solches Modell bereits seit dem Jahr 2019 im Einsatz.
Gearbeitet wird auch an der sogenannten Platooning-Technik. Dabei werden mehrere Trucks wie ein Zug zu einer gestaffelten Kolonne zusammengestellt. Ein Fahrer sitzt (wenn überhaupt) nur noch im ersten Lkw. Die anderen Trucks hängen sich dran und fahren autonom.
Allerdings fällt die Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten des autonomen Lkw-Fahrens unterschiedlich aus. Bei den komplexen Verhältnissen auf europäischen Straßen wäre der autonome Lkw nach heutigem Stand wohl oft überfordert. Und die Aufgaben des Fahrers bei der Be- und Entladung lassen sich nicht einfach so automatisieren.
Für lange Etappen mit einfacher Topographie ist der Robo-Truck dagegen durchaus eine Option. Entsprechende Bedingungen finden Sie zum Beispiel in den USA oder Australien, in Europa dagegen nur abschnittweise. Das wiederum würde organisatorische Probleme aufwerfen: Teilstrecken könnten fahrerlos bestritten werden, andere nicht.
Fazit: der fahrerlose Lkw wird in Deutschland nicht so schnell den Güterkraftverkehr prägen. Der Fahrer oder die Fahrerin aus Fleisch und Blut bleibt vorerst für den Spediteur unverzichtbar.